Ein Vorwurf liegt in der Luft: Jugendoffiziere der Bundeswehr sollen laut einer Petition Informationsveranstaltungen an Schulen für Rekrutierungsversuche missbraucht haben. Die Grünen wollten anhand dieses Falles gleich die gesamte Kooperationsvereinbarung des Bildungsministeriums mit der Bundeswehr in Frage stellen. Doch Verbündete fanden sie nur bei den LINKEN.
Jutta Gerkan von den anstragstellenden BündnisGRÜNEN stellte zunächst die Behauptung auf, dass die Auftritte von Jugendoffizieren an Schulen viel Kritik von Vereinen und Verbänden ausgelöst hätten und dass sich dies auch in Petitionen widerspiegele. Die GRÜNEN stünden für einen neutralen Unterricht mit kontroversen Diskussionen, wie es bereits seit 1976 im Beutelsbacher Konsens vereinbart sei. Dazu gehöre auch das Indoktrinationsverbot und die Befähigung der Schüler zu eigener Analyse und Beurteilung von Sachverhalten. Der
Kooperationsvertrag wirke hingegen so, als habe der Verweis auf den Beutelsbacher Konsens lediglich Alibi-Funktion. Der Kooperationsvertrag sei zudem einseitig und müsse als politisch gewollte Bevorzugung einer Institution verstanden werden. Selbstverständlich wollten die GRÜNEN die Bundeswehr nicht gänzlich fernhalten, politische Bildung müsse aber umfassender sein, und es dürfe keinesfalls eine Werbung für den Soldatenberuf stattfinden. Ihre Fraktion sei dafür, den Kooperationsvertrag aufzulösen.
Bildungsminster Mathias Brodkorb, dessen Vorgänger Henri Tesch die Kooperationsvereinbarung auf den Weg gebracht hatte, betonte gleich zu Beginn, dass er an der Vereinbarung festhalten werde. Dem Ministerium seien keine Fälle von Rekrutierungsversuchen durch Jugendoffiziere bekannt. Die Kooperationsvereinbarung beinhalte im Übrigen eine klare Grenzziehung in Bezug auf die Aktivitäten der Bundeswehr, und die GRÜNEN würden vermutlich nach einer solchen rufen, wenn es sie nicht bereits gebe. So kämen Jugendoffiziere nur auf Einladung, die Lehrer überwachten die Einhaltung des Beutelsbacher Konsenses und die Bundeswehr müsse über jeden Besuch Rechenschaft ablegen, was ansonsten keine Institution, die an Schulen auftritt, tun müsse. Die Bundeswehr sei überdies eine staatliche Institution, es sei deshalb nur logisch, dass diese anders behandelt werde, als beispielsweise ein privater Verein. Insofern, schloss der Minister, sei die Debatte emotional reizvoll, aber politisch überflüssig. Abstrakte Verdächtigungen seien zudem nicht der richtige Weg der politischen Auseinandersetzung.
CDU-Redner und Berufsschullehrer Torsten Renz zeigte sich richtiggehend entrüstet über den Antrag. Offensichtlich werde hier ein Einzelfall verallgemeinert, um Lehrer und die Bundeswehr zu verunglimpfen. Wer wissen wolle, wie Indoktrination aussehe, solle sich noch einmal das DDR-System vor Augen führen, in dem bereits Zweitklässler zum "Manöver Schneeflocke" ausrücken mussten, 12- bis 13-Jährige für einen 25-jährigen Armeedienst unterschreiben sollten und Mädchen wie Jungen in mehrtägigen Wehr- und Zivilverteidigungslagern für den Dienst an der Waffe geschult wurden. Dagegen müsse heute kein Schüler an Veranstaltungen mit Jugendoffizieren teilnehmen - die Befreiung vom Unterricht sei in der Kooperationsvereinbarung ausdrücklich vorgesehen.
Besonders lautstark meldete sich LINKEN-Sprecherin Simone Oldenburg zu Wort. Sie unterstellte, dass die Vereinbarung dazu diene, das mangelnde Werben der Lehrer für die Bundeswehr auszugleichen. Für die LINKE sei es bereits eine massive Werbung für die Bundeswehr, wenn ein Jungendoffizier in Uniform in der Schule erscheine, wenn er Kugelschreiber verteile und seine Kontaktdaten an Schüler weitergebe. Die LINKE frage sich zudem, warum das Land ausgerechnet mit der Bundeswehr, nicht aber mit der Agentur für Arbeit einen Kooperationsvertrag geschlossen habe. Das würden andere Länder vormachen, genauso wie einige Bundesländer Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr wieder gekündigt hätten. Kritik übte Oldenburg auch an der Informationspolitik des Bildungsministeriums. So sei die Kooperationsvereinbarung für die Schulen lange Zeit nicht verfügbar gewesen, Eltern wurden nicht über die Befreiungsmöglichkeiten vom Unterricht aufgeklärt und es habe keine Alternativangebote für Schüler mit anderen Interessen gegeben.
SPD-Schulexperte Andreas Butzki gedachte zunächst der Opfer des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium vor genau 10 Jahren. Anschließend äußerte auch er sein großes Erstaunen über den Antrag der GRÜNEN und die darauf gründende Berichterstattung in der Presse. Wenn es Anwerbeversuche durch Jugendoffiziere gegeben habe, solle man diese bitte beim Namen nennen. In diesem Zusammenhang müsse man aber auch sauber zwischen Jugendoffizieren und Wehrdienstberatern trennen, diese hätten komplett unterschiedliche Aufgaben und letztere würden nicht in Schulen, sondern bei Berufsmessen auftreten. Er als Schuldirektor mit DDR-Erfahrung habe selbstverständlich auch mit einiger Spannung den ersten Begegnungen mit Jugendoffizieren der Bundeswehr entgegen gesehen. Doch anders als damals entschieden die Lehrer seiner Schule selbst über Art und Umfang der Besuche. Zudem habe er selbst Veranstaltungen der Bundeswehr besucht und sich über Ziele und Ausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit, zu der die Bundeswehr auch verpflichtet sei, informiert. Im Vorfeld der Debatte habe er sich auch mit Lehrerkollegen und Jugendoffizieren getroffen und konnte keinerlei Probleme feststellen.
Die GRÜNEN ließen abschließend Ulrike Berger ans Pult, die noch einmal unbewiesen behauptete, dass die Praxis der Kooperationsvereinbarung nicht dem Beutelsbacher Konsens entspreche. Lehrer seien zudem überfordert, wenn sie bei Bundeswehrbesuchen Interessenvertreter und Moderator zugleich sein müssten. Dies ebne den Weg zu Indoktrination und folge nicht dem Prinzip der Wissenschaftlichkeit.
In der Abstimmung gab es eine kleine Überrraschung: Ein Abgeordneter der Fraktion Bündnis90/Grünen enthielt sich der Stimme zum eigenen Antrag. Ansonsten bekam der Antrag erwartungsgemäß die Stimmen von GRÜNEN und LINKEN und wurde mit der Mehrheit der SPD-CDU-Koalition abgelehnt.