Bereits heute ist Mecklenburg-Vorpommern bundesweit Spitze bei den Betreuungsangeboten für Kinder. Koalition und Opposition sind sich im Grundsatz einig, dass dennoch weitere Investitionen sinnvoll und notwendig sind. Doch während auf Regierungsseite die haushälterische Vernunft regiert, sind LINKE und GRÜNE in einen Überbietungswettlauf eingetreten. Allerhöchste Zeit, die übermütigen Dirigenten des "Wünsch-Dir-was"-Konzertes auf den Boden der Tatsachen zu holen ...
In erster Lesung hat der Landtag heute den Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes M-V (KiföG M-V) (Drs-Nr. 6/1621) beraten. Die Novelle des 4. KiföG M-V hat folgende Schwerpunkte: A) Absenkung der Fachkraft-Kind-Relation auf 1:15 bis 2016; B) Überführung der Elternentlastung für die Kinderkrippe in einen Rechtsanspruch; C) Anpassung des KiföG M-V an bundesrechtliche Regelungen (Platzanspruch); D) Zusammenfassung von Finanzierungsströmen auf drei Säulen; E) Präzisierung der Formulierung bei der Ausgestaltung der Fachkraft-Kind-Relation vor Ort; F) Mindestlohn von 8,50 Euro für alle in Kitas angestellten Mitarbeiter (wobei Fachkräfte selbstverständlich mehr erhalten sollen).
Die für das Gesetz zuständige Sozialministerin Manuela Schwesig würdigte die geplante Gesetzesnovelle als wichtigen Meilenstein für das "Kinderland MV". Mit den Maßnahmen schaffe man bessere Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Chancengleichheit aller Kinder im Land, weil sich die Kitas noch weiter von Betreuungs- hin zu Bildungseinrichtungen entwickeln sollten. Schon jetzt belege das Land einen bundesweiten Spitzenplatz, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Erreicht werde dies auch durch Ganztagskitas und das Fachkräftegebot, das es längst nicht in allen Bundesländern gebe. Schwesig betonte, dass die aktuelle Novelle das Resultat vieler Anhörungen und Rundreisen sei, auf den Experten und Praktiker die entscheidenen Hinweis gegeben hätten - unter anderem auch den, bei der schrittweisen Absenkung des Betreuungsverhältnisses von 1:17 auf 1:15 in den Kitas anzufangen. Die hohen Kosten von 10 Mio. Euro jährlich pro Absenkungsschritt seien ein finanzpolitischer Kraftakt, ebenso wie die 2-prozentige Dynamisierung der Landesmittel für den Kitabereich und die möglicherweise steigenden Kosten bei noch stärkerer Inanspruchnahme von Kitaplätzen. Abschließend wies Schwesig noch die Kritik an den vemeintlich 2500 fehlenden Kitaplätzen zurück. Sie habe keine entsprechende Rückmeldung aus den dafür zuständigen Kommunen. Und die Entscheidung, wieviele Kitaplätze gebraucht würde, entschieden die Kommunen in Selbstverwaltung und nicht das Bundesfamilienministerium in Berlin, das die Zahl in Umlauf gebracht hatte.
LINKEN-Sozialexpertin Jacqueline Bernhardt bescheinigte der Novelle zunächst wichtige Schritte in die richtige Richtung: so lobte sie die Erhöhung des Grundbetrages, die Dynamisierung und die Anpassung der Entlohnung für Erzieherinnen und Erzieher. Dennoch habe man die Chance verpasst, weitere Probleme anzupacken. So gebe es eine unzureichende Ausfinanzierung der gesetzten Standards, z.B. für den Betreuungsschlüssel und die mittelbare pädagogische Arbeit. Aber wer bestellt, müsse auch bezahlen! Außerdem gebe es keine Kontrolle über die Umsetzung der Standards. 5 Mio. Euro könne man übrigens durch Beendigung des DESK*-Verfahrens gewinnen, das Screening-Verfahren zur Aufdeckung und Verhinderung von frühkindlichen Defiziten sei ungerecht, weil es nur bei 10 Prozent der Kinder angewendet werde. Beim Thema Elternarbeit fehle es in der Praxis an Mitwirkungsmöglichkeiten, weil z.B. Elternräte als Mitglieder politischer Gremien nicht vorgesehen seien. Und prinzipiell sei die Novelle nicht langfristig nicht genug ausgerichtet, weil Krippe, Hort und integrative Betreuung fehlten. Insofern handele es sich beim Gesetzentwurf um Flickschusterei, so das abschließende Fazit der LINKEN-Politikerin.
SPD-Kinder- und Jugendexperte Ralf Mucha wies die Kritik zurück und sagte, dass man die Gesetzesnovelle nicht schlechtreden lasse. Der Entwurf bringe deutliche Verbesserungen für Kinder, Eltern und Erzieherinnen mit sich und bedeute einen enormen finanziellen Auffwand, wenn man allein die Mittel zur Absenkung der Fachkraft-Kind-Relation von perspektivisch 20 Mio. € jährlich betrachte. Insgesamt gebe das Land schon jetzt 71 % mehr für die Kinderbetreung aus als im Jahr 2006. In den nächsten Jahren werden diese Mittel nochmals deutlich aufgestockt. Dabei habe man noch immer nicht das Blaue vom Himmel holen können, aber biete eine gute und bezahlbare Lösung. Für die Anhörung erwarte er zwar eine lebhafte Debatte, man könne aber schon heute sagen, dass die Novelle die Fortschreibung einer Erfolgsgeschichte sein werde, bei der es im Übrigen nicht um Wahlkampf, sondern um die Kinder gehe - so ein abschließender Seitenhieb auf die LINKE.
GRÜNEN-Rednerin Silke Gajek dankte ihrer Vorrednerin von der LINKEN für den Hinweis auf das DESK-Verfahren. Auch die GRÜNEN sähen hier ein Problem bezüglich der Chancengleichheit. Etwas unvermittelt warf Gajek das Prinzip der systemischen Finanzierung des KITA-Systems in den Raum - eine nähere Erläuterung blieb sie allerdings schuldig. Daneben forderte sie ein parteiübergreifendes Expertinnengremium - auch hier ohne spezielle Erläuterungen, wann und wo dieses Gremium zum Einsatz kommen solle. Abschließend kritisierte die Politikerin noch das Fehlen des Inklusionsgedankens im Gestzentwurf: dies sei aber keine Kann-Regelung, sondern eine Pflicht und gehöre an prominneter Stelle ins Gesetz.
CDU-Kita-Experte Bernd Schubert überraschte das Plenum zunächst mit der Würdigung des heutigen Wirtschaftsministers Harry Glawe als "Vater des KiföG" - vermutlich bezugnehmend auf seine frührere Rolle als sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Schubert verteidigte sowohl das DESK-Verfahren als auch die Reduzierung der Ausbildungszeit für Erzieherinnen. Letzteres sei auch eine Forderung der Kitas selbst gewesen. Ansonsten hob er das Konzept Duale Ausbildung und die neuen Optionen für Quereinsteiger (bei Anrechnung bereits erworbener Kenntnisse) hervor. Bemerkenswert sei auch, dass die Verpflegung nunmehr Bestandteil der Förderung werde, da sich die besondere Abrechnung als zu bürokratisch herausgestellt habe. Die Anhörung im Ausschuss werde im Detail sicher noch praktische Hinweise der Fachleute bringen. Eine zusätzliche Absenkung des Betreuungsschlüssels auch bei Krippen sei aber derzeit definitiv nicht bezahlbar, man sei ja nicht bei "wünsch Dir was". Die Opposition müsse sich in diesem Zusammmenhang fragen lassen, was sie wolle: Eine bezahlbare Novelle oder gar keine Novelle?
SPD-Sozialexperte Jörg Heydorn nannte die Kritik und die Vorwürfe der LINKEN gegen den Gesetzentwurf "einfach nur flach". Wolle die LINKE etwa, dass Kitas komplett durch das Land finanziert werden? Hier helfe es, mal im Gesetz nachzuschlagen, da die Trägerschaft weiterhin bei den Kommunen liege. Den Vorwurf der Flickschusterei konterte Heydorn mit dem Hinweis, dass ein Gesetz keine Konzeptstudie sei, sondern Sachverhalte regele - nicht mehr und nicht weniger! Den Grünen verpasste Heydorn, der zugab, in seiner Jugend selbst mit den Grünen sympathisiert zu haben, einen besonderen Dämpfer: Wenn sie das DESK-Verfahren zur Erkennung von Defiziten ablehnten, lehnten sie auch die Möglichkeit zu mehr Partizipation und Chancengleichjkeit für strukturell benachteiligte Kinder ab. Das sei eine hochgradig bürgerliche Einstellung, die mit vermeintlich linken Idealen der GRÜNEN nichts zu tun habe.
Trotz dieser deutlichen Worte am Schluss der Debatte, stimmten am Ende alle Fraktionen der Überweisung des Gestzentwurfes in die Ausschüsse zur weiteren Beratung zu.
*DESK - Dortmunder EnwicklungsScreening für den Kindergarten